Saisonrückblick Teil 1 - "Gimme Hope, Christiane"

Veröffentlicht am 2. Juni 2025 um 18:12

Es wird langsam aber sicher Sommer. T-Shirt-Wetter. Biergärten, Badeseen und Freizeitparks locken erste Besucher an. Eine schöne Zeit, in der Basketballfans sich jedoch von ihrer Lieblingsnebensache vorübergehend verabschieden müssen. Während die letzten Ligen in diesen Tagen ins Ziel laufen, die letzten Abstiegstränen trocknen und die letzten Trophäen in die Höhe gereckt werden, lassen viele Zuschauer, die der Sportart mit dem orangenen Leder verfallen sind, in der Urlaubsregion oder auf Balkonien die Saison Revue passieren. Bei einem kühlen Bierchen oder alkoholfreier Alternative – jeder nach seinem Gusto – wird der Spieler der Saison, das beste Spiel der Runde, das größte Highlight, die lustigste Auswärtsfahrt etc. gekührt. 

Was Außenstehende dabei gerne vergessen: Wer Sieger und Verlierer einer Spielzeit sind, wird zwar auf dem Parkett erst im April & Mai entschieden, hängt aber maßgeblich davon ab, wer in dieser vermeintlich ruhigen Phase seine Hausgaben macht – und wer eben nicht. Aber von vorne. 

Einbruch. Umbruch. Aufbruch. Durchbruch. Wer es mit dem Traditionsverein aus Mittelhessen hält, kennt diese Begriffe aus Saisonvorschauen nur zu gut. Dieses Jahr war mal wieder Umbruch. Dass es dazu kommen musste, empfanden viele Fans mindestens als “komisch”. Viele wurden gar mit einem fragenden “Hä?” im Gesicht zurückgelassen. Jonathan Kollmar, bei vielen Anhängern als pragmatisch und bodenständig bekannt und beliebt, musste nach zwei sportlich zufriedenstellend bis guten Saisons sein Amt räumen und wurde durch Guido Heerstraß ersetzt, der nach Stationen im Hand- und Volleyball nicht nur ein neues Büro, sondern gleich eine neue Sportart kennenlernen durfte. Sein Vorgänger kassierte quasi den Korb, den sich sein Nachfolger erst einmal anschauen musste. 

Begründet wurde die Trennung vielsagend mit “abweichenden Vorstellungen in zentralen Fragen”. Coach Ignjatovic ließ bei einem Fantreffen verlauten, dass die Finanzen nicht in Ordnung seien. So sehr ich selbst Fan bin und die Kritik aus Fansicht verstehe, muss man aber auch die Argumente der Vereinsvertreter gelten lassen. Ich vermute, dass kaum jemand aus dem Block Einsicht in die Jahresbilanz hat oder diese gar kaufmännisch einordnen kann. Dass die Entscheidung nicht transparent kommuniziert wurde, gesteht der Verein inzwischen ein.

Sportlich konnte man Kollmar nicht viel vorwerfen. Wären die 46ers eine Mietwohnung, könnte man sagen, dass der junge und ambitionierte Manager die Bude nach Schlüsselübergabe seines Vorgängers, dessen Spitzname “Schmiddi” noch heute in der Osthalle für hochgezogene Augenbrauen sorgt, erst einmal grundsanieren musste. Sang und klanglos aus der BBL abgestiegen mit einer Mannschaft, die gefühlt mehr gegeneinander als miteinander gearbeitet hat. Lieblos zusammengestellt und von den Fans in großen Teilen – ich erlaube mir das Urteil “zurecht” – abgelehnt. 

 

Aus dieser Talsohle ging es mit dem liga- und standortübergreifend erfahrenen Coach “Frenki” Ignjatovic zwei Mal in die Playoffs. Während man in Jahr eins gegen ein übermächtiges Vechta trotz stark dezimiertem Kader (Wolf durfte nicht spielen aufgrund von Vertragsklausel, Fundic verletzt, Cvorovic verletze sich auch noch in Spiel 4) zumindest einen Sieg in der Halbfinal-Serie landen konnte, ging es im zweiten Pro A-Jahr sogar bis auf den 2. Platz der Regular Season Tabelle. Nach einem dominanten Sieg in Spiel 1 der Viertelfinal-Serie gegen den vermeintlichen Underdog Karlsruhe folgte ein Turnaround, der bis heute noch viele Supporter der Mittelhessen ungläubig zurücklässt. 

Mit 3:1 gewannen die Löwen aus Baden-Württemberg die Serie und wurden später völlig überraschend sogar Meister. Etliche Fans und sogar der Coach sagen selbst heute noch, dass man mit einem Sieg in Spiel 4 bei zwischenzeitlich 17 Punkten Führung die Serie gedreht und anschließend wohl aufgestiegen wäre. Wie kontrafaktische Szenarien es so an sich haben, werden wir es nie herausfinden. 

Beide Male resultierten aus diesen Platzierungen Teilnahmen am finanziell lukrativen BBL-Pokal, in dem man in der Spielzeit 23/24 sogar den damaligen Bundesligisten aus Crailsheim niederringen und damit als einziges Pro A Team in die zweite Runde einziehen konnte. 

Versteht mich nicht falsch. Ich will die Entscheidung zum Managementwechsel hier weder loben noch kritisieren. Die Geschichte ist ein Jahr her. Zwischenzeitlich ist viel Wasser die Lahn hinunter geflossen. Jedoch wird keine Saisonrückschau der Hessen ohne dieses Thema auskommen, das Fans, Geschäftsstelle und Sponsoren wohl so sehr geprägt hat wie kaum ein anderes in dieser Spielzeit.

Und so startete der neue Geschäftsführer, der selbst ebenfalls um Fannähe bemüht ist, mit einem Misskredit bei vielen Supportern in sein Amt, für den er ehrlich gesagt selbst nichts konnte. Mit vielen von ihnen ist er inzwischen per Du. „Der Guido“ wie er oftmals kurz genannt wird, ist ein anderer Typ als Kollmar. Anderes Alter. Anderer Werdegang. Er kommuniziert anders. Ich meine das ausdrücklich wertneutral, um zu zeigen, dass Vergleiche zwischen beiden nicht zielführend sind. Hier darf und muss sich jeder seine eigene Meinung bilden. 

War der frühere Handball-Bundesligaspieler anfangs noch mit vager Kommunikation zu diversen Baustellen rund um den Verein aufgefallen (sein erstes Interview nach bereits 37 Tagen im Amt empfand ich leider als inhaltsleer und floskelbehaftet), erkannte er aber schnell, dass man mit Volksnähe in der Universitätsstadt Bonuspunkte sammeln kann. Persönliche Begrüßung bei Ausstieg aus dem Fanbus, Freibier und Snacks beim Fantreffen sowie mehrere Besuche im Block – der zweifache Familenvater ist sich nicht zu schade, den Weg aus der VIP-Lounge in den Stehblock anzutreten und auch im feinen Sakko anzufeuern. Das kommt an und konnte sicherlich den ein oder anderen Kritiker besänftigen. 

Die Einleitung ist zugegebenermaßen ausschweifend; eine verkürzte Form würde dem turbulenten letzten Sommer an der Lahn aber nicht gerecht werden. Nachdem Einordnen der Hintergründe wollen wir in Teil 2 endlich auf das Parkett springen – von einem Stolperstart auf den Rängen, über eine Mannschaft, die sich erst finden musste hin zur vielleicht schönsten Niederlage der jüngeren Vereinsgeschichte. 

 

„… und so steh’n wir hier und singen für den Männerturnverein.

Für die Gießen 46ers und so wird es immer sein!“

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